Aspel – Ora et labora!

Müssen Bilder reifen wie Whisky?

Wir schreiben das Jahr 1985.

Michael Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU,

das Wrack der Titanic wird gefunden,

Jennifer Rush singt über die Power of Love,

in Deutschland werden energiesparende Technologien erstmalig steuerlich gefördert,   

Boris Becker siegt als 17- jähriger in Wimbledon.

Ein Fotograf vom Niederrhein möchte sein Studium „Visuelle Kommunikation“ an der Fachhochschule Dortmund abschließen. Sein Wunschthema: Bugatti-Fahrzeuge und ihre Besitzer in Deutschland. Doch trotz intensivster Bemühungen muss er sich irgendwann eingestehen, dass die Eigentümer dieser wertvollen Oldtimer weder fotografiert werden wollen noch in der Öffentlichkeit als solche erscheinen möchten.

Gescheitert mit diesem Versuch erreicht ihn ein Anruf von Rüdiger Gollnick, der an einem Buch zum 900. Todesjahr der Heiligen Irmgard von Aspel arbeitet und auf der Suche nach Bildmaterial ist. Er stellt auch den ersten Kontakt zu den Ordensschwestern her.

Alle Bilder sind in voller Absicht in Schwarz-Weiß gehalten worden. Natürlich gab es schon die Farbe in der Fotografie, aber dieses Thema schrie geradezu nach Schwarz, Weiß und ganz vielen Grauwerten.

Nach drei Monaten sind vier Nonnen vom Orden fotografiert und die rund 80 Fotos werden mit der Note 1,3 bewertet. Damit darf der junge Fotograf nun den Titel Diplom-Foto-Designer führen.   Weitere 50 Aufnahmen des Gebäudes und des Schulbetriebs fließen nicht mit in die Bewertung ein.  Insgesamt entwickelte der Fotograf zwei Serien in seinem Labor, eine mit 18 x 24 cm großen Vergrößerungen, und nachdem diese seinem Professor zu klein erscheinen, muss er alles nochmals auf 30 x 40 cm Fotopapier belichten. Dies ist sehr ärgerlich und problematisch, da nur sehr beschränkte Labormöglichkeiten zur Verfügung stehen. Zusätzlich verschlingt es eine Menge Zeit und Geld. Bedauerlicherweise wird diese große zweite Version später, bei Aufräumarbeiten in der Fachhochschule, zerstört.

Handwerk in der analogen Zeit

Nun zu einigen technischen Details, die in der heutigen Digitalzeit einfach erwähnt werden müssen. Erstens hatte ein Film maximal 36 Aufnahmen und nicht wie heute über 1000 auf einer kleinen Speicherkarte. Blende und Zeit wurden noch per Hand ermittelt und eingestellt, Objektive mit fester Brennweite statt riesigem Zoombereich und die Entfernungseinstellung übernahm keine intelligente Automatik.

Alle Bilder mussten einen schwarzen Rand aufweisen, nicht etwa einen „Trauerrand“, sondern das mitvergrößerte Ende des Negativs. Der sichere Beleg dafür, dass hinterher kein Ausschnitt mehr gemacht wurde. Nur das durchdachte, perfekt komponierte Bild zählt.

Die Filme wurden in 5er Dosen – Sie ahnen es schon – per Hand entwickelt. Einspulen in absoluter Dunkelheit. Da ist ein guter Tastsinn unumgänglich! Entwicklerflüssigkeit, Zwischenwässerung, Fixierung und Wässerung bei exakt 20 Grad Celsius. Trocknung in möglichst staubfreier Umgebung. Den Film danach in 6er Streifen zerschneiden und in Archivtaschen einfädeln.

Nach der Entwicklung der Negative waren die Vergrößerungen an der Reihe und auch hier gab es nichts als Handarbeit. Das Fotopapier wurde nicht online bestellt, sondern an der Theke eines Fachhändlers persönlich ausgesucht, bezahlt und nach Hause getragen.

Ein Arbeitstag im Labor begann mit dem Ansetzen des Entwicklers, des Stoppbades und eines frischen Fixierbades. Die Negativbühne ebenso wie das Negativ staubfrei putzen oder pusten, eine erste Probe auf einem Probestreifen belichten, Kontrast und Helligkeit der Probe kontrollieren und korrigieren. Erneuter Test mit anschließender Bewertung. Schlussendliche Belichtung eines ganzen Blattes Fotopapier der Marke Agfa. Nun war das Motiv erstmals in seiner Gesamtheit als Positivbild zu sehen. Schlimmstenfalls mit der Erkenntnis, dass einige Bildteile zu dunkel und andere richtig wichtige Details zu hell ausfallen und somit nachbelichtet werden mussten. Abschließend konnte nach all diesen Versuchen die Erkenntnis wachsen, dass auf der gewählten Papiergradation der gewünschte Kontrastumfang nicht realisierbar war. Alles ging nochmal von vorne los. Selbst geübte Laboranten brauchten schon mal 7 oder gar 8 Blätter für das gewünschte, perfekte Ergebnis.

Nach einer mindestens zweistündigen Wässerung mussten die Bilder auf einer schon damals uralten Presse getrocknet werden. Wenn es gut gelaufen war und keine Störungen von außen – Telefonate, unangemeldete Besucher, Postboten oder Stromausfälle – gab, endete man mit rund 20 gelungenen Vergrößerungen am Ende des Arbeitstages.

Nun wurden die meist sehr welligen Fotos mit Hilfe einer Klebefolie und einer entsprechenden Hilsdorf–Presse auf Museumskarton aufgezogen. Dass der Fotograf im Besitz einer derartigen Presse gelang, war für ihn damals wie ein Sechser im Lotto.  Selbst in der FH stand nur eine und er war das ständige, montägliche Gerangel schon lange satt. Als letzte Amtshandlung müssen helle Fehlstellen von Staub und Flusen mit Eiweißlasurfarben retuschiert werden. Eine Fleißarbeit.

Fertig!!!!

36 Jahre Lagerung in Holzfässern führt bei Single Malt Whisky einer guten Destillerie zu einem Flaschenpreis, der schnell vierstellig werden kann.

Bei Fotos ist das nicht zwangsläufig so. Damals war dieses Thema vergleichsweise uninteressant für die Medien, lediglich der Chefredakteur der Fachzeitschrift Leica–Fotografie druckte gerne eine Bildstrecke ab.

Und so lagerten die Bilder unbeachtet im Archiv des Fotografen, bis Michael Scholten vom Reeser Geschichtsverein dies abrupt beendete.

Der Fotograf freut sich nun endlich einen Großteil seiner Examensarbeit ausstellen zu dürfen, noch dazu für ein Publikum aus seiner Heimat. Über den Wert dieser Arbeit mag sich jeder sein eigenes Urteil bilden, in aller Bescheidenheit gesteht der Fotograf, heute doch recht stolz auf alles zu sein.

Alle Bilder wurden mit Leica M und SL mot Kameras auf Kodak Tri – X und Technical Pan Film aufgenommen und mit dem Leitz Focomat V 35 vergrößert. Die Großbild-Aufnahmen entstanden mit einer Sinar 9 x 12 Balgenkamera der 60ziger Jahre und einem Durst Laborator 138 S. Als Fotopapier kam Agfa Record Rapid in papierstark zum Einsatz.

Artikel aus der Leica – Fotografie Ausgabe 2 von 1986 von Edmund Bugdoll

Armin Fischer – Examensarbeit über ein Kloster

Die Ordensgemeinschaft der „Töchter vom Heiligen Kreuz“ in Aspel gestattete dem angehenden Diplom-Fotodesigner, im Kloster zu fotografieren und die Aufnahmen zu verwenden.

Die katholische Kirche und ihre Einrichtung waren für Armin Fischer, 28, ein Bereich, von dem er – außer einigen Klischees – keine festen Vorstellungen hatte. Naturgemäß hatte er darum Bedenken bei der Wahl des Klosters Aspel zum Thema seiner Examensarbeit bei der Fachhochschule Dortmund. Aber ihn trieb ein unbändiges Interesse, was sich hinter den Mauern verbergen könnte. Also nahm er Kontakt mit Oberin Gisela- Maria auf und erläuterte ihr in zwei Besprechungen seine Absicht, den Orden visuell darzustellen und sich in diesem Zusammenhang besonders mit den dort lebenden Schwestern zu befassen.

Natürlich gab es zunächst Vorbehalte verschiedenster Art. Doch die Vorlage einiger Arbeitsproben unterstrich die lautere Absicht. Nach kurzer Zeit bekam Fischer die Erlaubnis. Weil es unmöglich war, alle Schwestern einzubeziehen, fiel in Absprache mit der Oberin die Wahl auf vier, die sich nicht nur vom Alter her unterschieden, sondern auch von ihren Aufgabenbereichen im Kloster. Damit betrat der junge Fotograf eine ihm völlig fremde Welt, in der Hast und Hektik des modernen Lebens weitgehend unbekannt sind. Er musste lernen, mit innerer Ruhe auf Situationen und Motive zu warten. Und die Schwestern ihrerseits hatten ihre Scheu gegenüber dem „Eindringling mit der Kamera“ zu überwinden. Sicher nicht ganz problemlos, besonders für die älteren Schwestern, war doch bis zum 2. Vatikanischen Konzil 1964 jeglicher Besuch in der Klausur untersagt.

Anfängliche – und durchaus verständliche – Schwierigkeiten wurden im gegenseitigen Vertrauen überwunden, und im nachhinein ist Armin Fischer allen vier Schwestern, die ihm einen Einblick in ihr Leben gewährten, für die Erweiterung seiner Erfahrungswelt besonders dankbar. Diesen Dank bezieht er auch auf Professor Ulrich Mack, der sein Lehrer war.

Fischer fotografiert seit 1978 intensiv, studierte dann von 1981 bis 1985, gewann bei der photokina 1982 einen Preis im Jugendwettbewerb, bei „Focus 83“ den Ehrenpreis des Hauses Leitz Wetzlar, bei „Focus 84“ den Preis der Firma Hoesch. Seine Ausstellungen beschränken sich noch auf das nördliche Ruhrgebiet. Einige Zeitschriften haben bereits Bilder von ihm veröffentlicht, so „Ilford Kontraste“ in der Ausgabe 4/85 eine Serie unter dem Titel „Motorradfahrer“. Menschen sind seine bevorzugten Motive, aber er interessiert sich für alles, was sich mit der Kamera einfangen läßt. Landschaften allerdings liebt er nur bei schlechtem Wetter, wenn Regen oder Schnee fallen, es dunstig oder nebelig ist. Seine Ausrüstung: Leica M2 und M4P, R3, Leicaflex SL und SL mot; Objektive aller Ausführungen. Mit dem Focomat V 35 kopiert er im eigenen Labor.

Zurück zum Kloster Aspel, allgemein kaum bekannt. „Die Töchter vom Heiligen Kreuz“ wurden durch Mutter Maria Thersia ( Johanna Haze ) in Lüttich 1833 gegründet. Aufgabe der Ordensgemeinschaft war der Unterhalt der Armenschule. Die Ziele: Erziehung, Krankenpflege, Altersfürsorge, Missionshilfe (Indien, Afrika, Amerika), Einspringen „überall, wo die Schwestern gebraucht werden.“ Das Mutterhaus in Lüttich kaufte 1850 das Wasserschloß Aspel vom Grafen von Bernuth, dem „königlich preußischen Landrate“ des Kreises Rees. Schon ein Jahr später übernahmen 13 Schwestern die erste Niederlassung in Deutschland mit Schwester Henriette als Oberin. Ein Mädchenpensionat wurde gegründet. 1856 zählte die deutsche Ordensprovinz 87 Schwestern, davon 34 in Aspel. Der Grundstein für eine Klosterkirche wurde gelegt, 1860 ein neuer Pensionatsflügel angebaut.

 1868 wurde Aspel Provinzialhaus der deutschen Ordensprovinz. Dann folgen schlimme Jahre. Infolge des Bismarckschen Kulturkampfs Zwangsausweisung der Ordensfrauen und 1875 Schließung des Hauses, das 1881 an einen Gutsbesitzer verkauft wird. Doch schon sechs Jahre später wird es zurückerworben. Und die Zeit bis 1941 ist durch einen Aufschwung gekennzeichnet, der sich zuletzt in vielen Neubauten ausdrückt. 1941 jedoch gibt es wieder einen tiefen Einschnitt: die Gestapo des Naziregimes vertreibt die 50 Klosterinsassen, die Gebäude werden von der NSDAP belegt. Im Kriegsverlauf wird Aspel zum Lazarett und 1945 teilweise beim „Endkampf“ am Niederrhein zerstört. Das unversehrte Kloster dient zunächst der Stadt Rees als Krankenhaus – und die Schwestern kommen zurück! 1946 erfolgt die feierliche Wiedereröffnung der Schule; die Turnhalle dient als Klassenzimmer. 1948 wird die Klosterkirche nach Vollendung des Turmbaus neu geweiht.

1968 umfasst das Mädchengymnasium 400 Schülerinnen, davon 115 im Internat. 1973 schließlich werden Kloster und Schule getrennt, das Internat wird geschlossen. Die Schule geht an einen kommunalen Träger über.

Eine wechselvolle Geschichte also, getreu dem benediktinischen Leitspruch „Ora et labora“ (bete und arbeite). Doch auch hier hat sich das Kloster mehr der Welt zugewendet, ist aufgeschlossener geworden.